Muss es wirklich immer weh tun, damit man etwas lernt? Braucht es Schmerz, damit sich etwas verändert? 

Diese Frage stellen sich sehr viele Menschen und es scheint fast so, als wäre die Antwort darauf eindeutig. 

Ich würde allerdings mit einem ganz klaren „Nein“ antworten. 

Es muss nicht zwingend weh tun! Veränderung und Schmerz müssen nicht Hand in Hand gehen und doch tun sie es sehr oft. Es scheint fast so zu sein, als würde es leichter fallen, Veränderung über Schmerz zu akzeptieren, als ohne Schmerz. 

So stellt sich die Frage: Warum ist das so und warum warten die meisten Menschen mit einer anstehenden Veränderung so lange, bis ein von außen herangetragenes schmerzhaftes Ereignis – in Form von Katastrophe, Krankheit, Unfall, Trennung, Verlust, Burnout oder Nervenzusammenbruch – zur Veränderung „zwingt“? Warum schaffen es die Wenigsten dann, die Weichen für eine Veränderung zu stellen, wenn es noch schmerzfrei und selbstbestimmt möglich ist? 

In meinen Augen hat es nichts damit zu tun, dass es den Schmerz als Kraft wirklich BRAUCHT, um etwas zu verändern, sondern damit, dass wir ohne die Angst Verlust zu erleben, nicht bereit dazu sind, Gewohntes hinter uns zu lassen. Solange unser Ego-Ich noch Möglichkeiten sieht, innerhalb des Bekannten eine Lösung zu finden, wird es genau das versuchen. 

Das liegt an unserem Grundbedürfnis Nr.1 nach Sicherheit und unserem Überlebensinstinkt, der sich immer am bisher Bekanntem orientiert und die Kontrolle braucht. 

Gewohntes zu verändern, ohne vorher zu wissen was stattdessen kommt, führt bei vielen Menschen zu Unsicherheit und nicht selten zu Orientierungslosigkeit und Stress, der bis zu einer Panik heranwachsen kann. Wer dies schon einmal erlebt hat, wird unter allen Umständen versuchen, sein Leben im Vorhersehbaren einzurichten und Unkontrollierbares möglichst meiden. Wenn Veränderung im Verstand mit dem Verlust von Sicherheit gekoppelt ist, wird erst etwas Unausweichliches die Weichen für eine Veränderung stellen können. Und dieses Unausweichliche ist idR eine Katastrophe, eine Krankheit, ein endgültiger Verlust und immer sehr schmerzhaft.

Im Prinzip könnte man sagen: das wovor man am meisten Angst hat muss erst geschehen, damit man loslässt, was nicht mehr gesund ist und eine  Veränderung braucht.

Jedes Bedürfnis ist an einen ganz bestimmten inneren Zustand geknüpft und strebt danach. Das Bedürfnis nach Sicherheit, versucht natürlich unser Überleben zu sichern. Doch nicht nur, indem es uns hilft, bei Gefahr die richtige Verteidigung zu finden, sondern auch, um uns in den Zustand der Entspannung zu führen, wenn wir zu viel Stress erleben. Denn nur in der Entspannung können wir uns regenerieren und sichern damit das körperliche Überleben. 

Das führt dazu, dass das Bedürfnis nach Sicherheit anspringt, wenn wir vermeintliche Gefahr vermuten, unsicher sind und Kontrolle glauben zu brauchen. Nun ist es so, dass es in unserer heutigen Zeit keine echten Gefahren mehr gibt. Die heutigen Gefahren sind fast alles Gebilde unseres Verstandes, Geschichten die wir uns erzählen, etwas was wir in der Vergangenheit erlebt haben und worauf wir emotional mit Stress, Wut, Empörung oder Ärger reagieren. Diesen Stress, durch eine emotionale Geschichte verursacht, können wir nicht über eine körperliche Handlung abbauen. Es droht ja keine Gefahr für unser körperliches Überleben. Und so fühlen wir uns, durch die mit starken Emotionen aufgeladene Geschichte, überrollt und überfordert und HANDLUNGSUNFÄHIG.

Häufig führt diese Überforderung zu irgendeinem psychisch zerstörerischen Handeln, um wenigstens irgendwie handeln zu können und den innere Stress loszuwerden.

Man könnte auch sagen, dass die meisten Menschen unter einem chronischem Emotionsstau leiden, der sich, durch nicht abgebaute Stresshormone, in chronischen Stresszuständen, Krankheiten und psychischer Panik äußert. 

Der Unruhe, die wir dann permanent in unserem Körper spüren, wenn mal zur Ruhe einkehrt, versuchen viele Menschen mit erneuter Kontrolle zu begegnen, zB. durch das Abhaken einer riesigen to-do Liste, größtmögliche Absicherung  und Manipulation von anderen.

Da aber der Versuch, Sicherheit über Kontrolle zu erlangen, zu immer neuem Stress führt (denn die äußere Welt ist nicht kontrollierbar), kann der gewollte Zustand, nämlich Entspannung und inneres Gleichgewicht finden, nie erreicht werden. Erschöpfungserscheinungen, Burnout und Depression sind irgendwann die einzigen Auswege, um wenigstens etwas Ruhe in unser gestresstes System zu bringen. 

Wer sein Leben auf einem chronisch gestressten Nervensystem aufgebaut hat, wird jede Art von Veränderung ablehnen MÜSSEN. Denn Veränderung würde dann bedeuten, noch mehr Neues kontrollieren zu müssen. 

Erst wenn es keine Optionen mehr für unseren Verstand, das Ego-Ich gibt, keine Hintertür mehr offen ist, wird es aufgeben. Leider hat nur eine äußere Katastrophe, ein großer Schmerz, diese Kraft. 

Um wirkliche Sicherheit zu erleben musst du dem Drang, das Leben kontrollieren zu wollen, widerstehen und dich auf die Suche nach der Sicherheit machen, die du tatsächlich auch kontrollieren und beeinflussen kannst. Und das ist deine innere Welt, dein inneres Erleben, deine Wahrnehmung, ein Bewusstsein, das mehr ist als dein Ego-Ich-denken.

Sicherheit zu fühlen ist ein Gefühl. Keine Tatsache. Sie lässt sich nicht finden, sondern nur erleben. 

Und vielleicht wirst du, während du dich auf den Weg machst merken, dass es gar nicht um das Bedürfnis nach Sicherheit bei dir ging und dass du eigentlich immer sicher warst. Sehr oft geht es, wenn wir glauben nach Sicherheit zu suchen, um Akzeptanz. Um Akzeptanz, dass das Leben sich nicht um dich dreht, sondern durch dich eine Form bekommt, die du selber mit Sinn und Inhalt füllen musst.

Diese Erkenntnis kann dich wie der Blitzschlag treffen. Denn danach hat das Opfer und die Ohnmacht keinen Platz mehr in dir. Und du wirst auch nie wieder jemanden verantwortlich dafür machen können, wie du sich fühlst und was du im Leben bekommst. Das ist hart und braucht deinen ganzen Mut.

Ich würde mich allerdings nicht zu lange bei dieser Erkenntnis aufhalten und mir stattdessen die Frage stellen:

Hat der Inhalt, den ich durch mich in das Leben fließen lasse, Würde? Hat es Wert, was ich tue und gebe? Kann ich mich selber dafür achten und schätzen?

Es sind nicht die anderen, die dir deine Würde und deinen Wert nehmen, es ist auch nicht „das Leben“, das ungerecht ist. Das Leben ist neutral. Du bist es nicht. Du gibst allem eine Sinn, einen Wert und eine Würde. Oder eben nicht…

Du musst es selber in die Hand nehmen. Und nur DAS gibt dir das Gefühl von Sicherheit, dass du es selber in die Hand nehmen kannst.