Wie können wir Sicherheit erlangen, wenn die einzige Konstante des Lebens Veränderung ist?
Der Sommer geht gefühlt immer stärker in Richtung Herbst und die Natur verändert sich täglich sichtbar. Und genauso wenig wie in der Natur kein Tag wie der andere aussieht, ist es auch in unserem ganz persönlichen Leben. Veränderung ist einfach Teil des Lebens. Sie geschieht unaufhaltsam und unser Einfluss darauf ist sehr gering, scheint es…
Vielen Menschen macht der Gedanke an Veränderung und Vergänglichkeit, von lieb gewordenen Zuständen, Angst. Um diese Angst im alltäglichen Leben nicht fühlen zu müssen, haben wir Strategien entwickelt (teilweise sogar kollektive Strategien), die das Leben kontrollierbarer, vorhersehbarer und damit sicherer machen. Zum Beispiel ist jede Form der Ablenkung und Sucht eine solche Strategie. Die Flucht in die grenzenlose Phantasie- und Erlebniswelt schenkt uns ein kurzfristiges Freiheits- oder auch Entspanungsgefühl und lässt alle Ängste verblassen. Sogar die Flucht in die Gedankenwelt der Empörung, des Dramas schenkt uns so etwas wie Erleichterung und Orientierung, denn während der Empörung haben wir das Gefühl, dass nicht wir sondern der andere verkehrt ist.
Doch verkehrt ist niemand und falsch auch nicht. Es gibt nur das was passiert, in einer Gegenwart, in der alles Mögliche passieren kann. Und in dieser Gegenwart gibt es uns selber, die wir versuchen, mit dem was passiert, bestmöglich klarzukommen.
Wenn „die Strategie“ als bestmögliche Variante gewählt wird (und diese Wahl treffen die meisten Menschen), so wird sich das Leben zwischen Kontrolle, Kompromiss und Manipulation abspielen. Beziehungen die so geführt werden leben in Abhängigkeitsstrukturen, schauen stark auf die Erfüllung von Bedürfnissen durch den PartnerIn und erleben oft Frustrationen und Angst. Auch werden in diesen Beziehungen die Partner regelmäßig hinterfragt, oder ausgetauscht, wenn das Kontrollierbare nicht zum gewünschten Gefühl führt.
Natürlich ist es völlig ok so zu leben. Jeder darf sein Leben so gestalten, wie er/sie es für richtig hält, um bestmöglich mit dem Leben klar zu kommen. Es gibt da kein richtig oder falsch. Hilfreich wäre es allerdings, wenn Menschen dies wenigstens vor sich selber, im stille Kämmerlein, zugeben könnten, zB. mit: „Ja, ich versuche Schmerz zu vermeiden und wende alle möglichen Strategien an, damit Schmerz in meinem Leben keine Rolle mehr spielt.“ Allein das würde einen großen Teil des Leid’s in Beziehungen verringern und sie ehrlicher und selbstverantwortlicher gestalten.
Wer allerdings ein Leben führen möchte, das sich lebendig und wertvoll anfühlen soll, wer sich trotz permanenter Veränderung sicher fühlen möchte, wird dieses Ergebnis mit einem strategischen, oder Schmerz vermeidenden Verhalten nicht erreichen können.
Wenn wir versuchen in der Liebe Sicherheit zu finden, wird sie für etwas gebraucht, wofür sie nicht geeignet ist und wird sehr wahrscheinlich in leidvoller Dramastruktur ersticken.
Um erfüllt, lebendig und nah mit sich selber in einer Beziehung leben zu können, müssen wir uns der Gegenwart stellen. Einer Gegenwart, die nicht immer nur schön und schmerzfrei ist, nicht immer sicher und verbunden. Wer sich in einem Leben, indem Veränderung die einzige Konstante ist, sicher fühlen möchte, der müsste dem JETZT, dem was gerade passiert, egal was es ist!, das Wertvolle und Einzigartige abgewinnen können und lernen darauf so zu antworten, dass es einen Sinn und einen Wert ergibt.
Denn das JETZT ist, in meinen Augen, ein in der Tiefe, also im Raum, unendlicher und in der Zeit vergänglicher Moment, der jede Möglichkeit in sich trägt.
Das bedeutet, dass wir nur im jeweiligen Moment Einfluss auf eine Veränderung haben. Veränderung geschieht nicht, weil wir es wollen, wünschen, uns vorstellen, affirmieren oder es uns vornehmen, nicht, weil wir unser Mindest trainieren, sondern weil wir auf den jeweiligen Moment anders beginnen zu antworten/zu reagieren, als wir es bisher gewohnt waren. Wenn wir auf den Moment genauso antworten, wie wir es gewohnt sind, wird sich keine Veränderung einstellen. Egal welches Mindest dahinter steht.
Das was die meisten Menschen allerdings tun, ist sich zu überlegen, was sie das nächste Mal anderes tun müssten, um dann, wenn es soweit ist, zu entscheiden, dass dies doch noch nicht der richtige Moment ist, indem man etwas anderes tun möchte.
Das ist absurd. Denn genauso wenig wie es eine richtige oder falsche Lebensweise gibt, eine richtige oder falsche Sichtweise, gibt es nicht den richtigen oder falschen Moment. Es gibt nur den Moment und eine Entscheidung, darauf zu reagieren. Dort liegt die gesamte Freiheit, die wir haben, dort entsteht Veränderung, die wir selbstverantwortlich gestalten können.
Wer der Gegenwart kontinuierlich so begegnet, wird feststellen, dass sich das Leben von Tag zu Tag sicherer anfühlt, da die eigene Handlungsmöglichkeit als bestmögliche Konstante erfahren wird und Orientierung aus einem selber herauskommt und nicht von Abhängigkeiten beeinflusst wird.
Das JETZT wahrzunehmen, zu erleben und so anzunehmen wie es ist, hat alles in sich, was wir brauchen um glücklich und erfüllt zu leben. Wer es wagt immer tiefer in das Erleben des Momentes einzutauchen, wird genau dort Sicherheit finden. Denn erst, wenn wir alle Emotionen, die im jeweiligen Moment durch unseren Körper schießen, ertragen können, allen Gedanken, die auf uns einprasseln, einen Rahmen geben können, entsteht das Gefühl von Sicherheit.
Darum ist meine Definition von Sicherheit:
„Auf alles was im JETZT passiert, kann ich so antworten, dass es mich weder überwältigt, noch handlungsunfähig macht.“
Werde ich trotzdem Schmerz fühlen?: Ja!
Werde ich mich evt. verlassen fühlen?: Vielleicht!
Werde ich Verlust erleben?: Ja!
Werde ich Freude, manchmal Einsamkeit und Ungerechtigkeit erleben?: Ja!
Werden alle meine Bedürfnisse immer erfüllt sein?: Nein!
Werde ich aufstehen, wenn ich falle, ohne mich dafür zu bestrafen, dass ich gefalle bin?: Na klar!
All das gehört zum Leben dazu und zeigt dir deinen ganz persönlichen Weg. Und es zeigt dir, was es noch braucht, damit du diesen Weg in Würde und Selbstbestimmung weitergehen kannst, ohne andere dafür zu gebrauchen, zu manipulieren oder kontrollieren zu müssen.
Wer keine Angst mehr vor dem hat, was zum Leben dazu gehört, was das Leben in seiner Komplexität ist, wer nicht mehr versucht, es klein und überschaubar zu halten, wer es wagt den Fluss des Lebens als Quelle von Wahrheit zu begreifen, dem wird Veränderung keine Angst mehr machen und der wird verstehen, dass Veränderung der Sauerstoff des Lebens ist.
Manchmal erleben wir Veränderung innerhalb eines schmerzhaften und manchmal eines freudigen Prozesses. Auch das ist nicht kontrollierbar. Aber ein bisschen beeinflussbar, denn die Dauer des Leids steht im direktem Zusammenhang mit dem Widerstand, du dem entgegen bringst, was sich gerade verändern will.
Doch dazu dann mehr das nächste Mal. 🙋🏻♀️