Wir sprechen vermehrt von toxischen Beziehungen. Ich möchte mit diesem Text eine Bewegung starten, die sich zum Ziel gesetzt hat, das Toxische in uns als das zu sehen, was es in meinen Augen ist: eine nicht geheilte Wunde, die unsere Zuwendung braucht und nicht unser Verstoßen!
Eine toxische/giftige Beziehung, ist eine Beziehungen, die das Verhalten zweier Menschen mit deren geöffneten Wunden beschreibt. Ein anderes Wort für Wunde ist Trauma.
Toxische Beziehungen sind Beziehungen zwischen zwei Menschen, die aus ihren Traumastrukturen heraus in Verbindung getreten sind. Sie leben kein Leben im Jetzt, sondern das Leben der aufgerissenen Wunden aus ihrer Vergangenheit.
Es kann sein, dass Menschen, die in einer „toxischen“ Beziehung leben, niemals zuvor mit dieser Wunde in Berührung gekommen sind. Doch plötzlich hat etwas in ihnen erkannt, dass es an der Zeit ist, die vertraute und sichere Wohlfühlbeziehung zu verlassen und sich dem zu stellen, was in der Tiefe nach Heilung ruft. Und dafür braucht es einen anderen Menschen für den, man wie damals in seiner Kindheit, eine tiefe Liebe empfindest. Wenn die Liebe allerdings mit einer oder mehrerer traumatischer Erfahrungen verknüpft ist, geht mit dem Öffnen für diese Liebe ein Aufreißen der eigenen Wunde einher. Viele nennen das Seelenpartner, oder Dualseele. Ich mag diese Begriffe nicht sonderlich, darum nenne ich es einfach beim Namen.
Ein sogenannter Seelenpartner ist der Mensch den wir uns aussuchen, um unserer Wunde begegnen und in Liebe heilen zu können.
Alleine schaffen wir so etwas nicht. Alleine würden wir niemals, einfach so aus dem Nichts heraus wütend oder sarkastisch werden, uns komplett zurück ziehen oder andere irrationale, zerstörerische Dinge tun.
Es ist in diesen Beziehungen sehr oft der Fall, dass es um keine wirklich ernsthaften und konkreten Themen geht, die eine Lösung brauchen, sondern eher um persönliche Befindlichkeiten und Stimmungen. Wegen eines ungefähr aufgetretenen Gefühls, des z.B „wieder nicht bekommen zu haben“, einer Ahnung, oder einer Vermutung, die die Wunde berührt, werden alle rationalen und kommunikativen Lösungsformen über Bord geschmissen. Ein normales Gespräch zu führen scheint unmöglich. Denn in solchen Momenten geht es nie um das Konkrete, sondern um das Bluten wollen der inneren Wunde. Einer Wunde, die gehört und gesehen werden möchte. Doch meistens giften sich zwei zuvor Liebende nur noch über das vermeintlich Geschehene an und es wird mit jedem Schritt zerstörerischer. Solange wir nicht lernen sofort inne zu halten und dort schauen, wo es wirklich blutet, vernebelt das Gift unsere Sinne und am Ende bleiben nur Verlierer zurück. Hüllen ihrer Selbst. Eine toxische Verbindung.
Wir erkennen das Wirken unserer Wunde immer daran, dass wir verhärten und rigoros werden, Trennungen und Grenzen brutal durchziehen, Menschen „aus gutem Grund“ nie wieder sehen wollen, aus unserem Leben förmlich verbannen, oder in ewig sinnlosen Streitereien in unserer Partnerschaft verharren. Mit Liebe hat das dann nichts mehr zu tun.
Wenn wir in solch einer Partnerschaft leben und eines Tages die komplette Erschöpfung eintritt, sprechen Freunde und Psychologen von toxisch und haben oft nur noch einen Rat: lauf weg solange es noch möglich ist, trenn dich, schneide den Kontakt für IMMER radikal ab. Denn dieser Mensch tut dir nicht gut! Er zerstört dich! ….
Danach beginnt der schmerzhafte Prozess einer Trennung. Viele erzählen, dass es sehr lange gedauert hat, bis sie wieder zu sich gefunden haben. Denn es dauert lange, bis sich eine aufgebrochene Wunde wieder verschließt. Manche finden in der Trennung einen Weg, ihrer Wunde wahrhaftig begegnen zu können. Das ist Gnade und sehr mutig! Doch wer im Hass und der Ablehnung stecken bleibt, wird eine neue Kruste über seine Wunde legen. Er wird gezwungen sein ein Leben zu leben, das sich reduziert auf das „nicht in die Nähe kommen“ seiner weiterhin vorhandenen Wunde. Sehr wahrscheinlich wird sich mit der Zeit das Gefühl von Leere und Belanglosigkeit immer breiter machen.
Jede Wunde möchte gerne heilen und nicht einfach nur verkrusten und jedes Lebewesen möchte sein Leben in der Gesamtheit erfahren und nicht im selbstgezimmerten Komfortausschnitt.
Viele von uns tragen ein tiefes Trauma/Wunde in sich. Meistens wurde etwas in der Kindheit erlebt, mit dem die kindliche Psyche nicht klargekommen ist und daher ein Muster entwickelt hat, um das Überleben zu sichern. Manchmal ist es auch eine Mitgift unserer Vorfahren, die dann ins eigene Leben weitergetragen wurde. Wie dem auch sein, es gibt diese private und kollektive Wunde in uns und diese Wunde ist es, die wir nicht berühren wollen. Wir spüren instinktiv, dass etwas passieren könnte, was wir vielleicht nicht mehr halten können, etwas, dass unserm Leben den Boden nehmen könnte. Dem wollen wir auf keinen Fall begegnen, lenken uns lieber ab, halten still, oder sehnen uns nach einer Wohlfühlbeziehung. Dort glauben wir uns sicher und beschützt.
Doch unsere Wunde ist immer da, denn wir sind immer da. Und damit sie uns nicht behindert, entwickeln wir Verhaltensmuster, Rollenverhalten und tragen hübsche Masken. Beziehungen und Lebensformen werden „passend gemacht“ und Menschen, die störend wirken, werden „gemieden“. …..
Wir leben in einer Kultur der Ausgrenzung und nicht in einer Kultur, die erkannt hat, dass die tiefe Wunde des Einzelnen keine private Angelegenheit mehr ist.
Für mich ist es kein Wunder, dass unsere Gesellschaft voll ist von sogenannten Narzissten, Depressiven, Borderlinern und toxischen Verbindungen. Das sind alles Menschen, die ihrer Wunde begegnet sind und ihr nicht gewachsen waren. Menschen, die Hilfe brauchten und sie nicht erhalten haben. Und diese Menschen wollen wir verstoßen, ausgrenzen, verurteilen, mit einem Makeletikett versehen?
Ich möchte das Wort „toxisch“ gerne ersetzen mit dem Wort „verzweifelt“. Es gibt so viele verzweifelte Menschen. Die meisten im Stillen. Doch eines Tages wird all das ausbrechen, wenn wir weiterhin versuchen, uns von dem abzuwenden, was in uns lebt. Es braucht Zuwendung! Zuwendung von uns ALLEN. Wir schaffen das nicht mehr alleine in der Zweierauseinandersetzung der persönlichen Beziehung. Wir brauchen eine Gemeinschaft und ein Bewusstsein dafür, das sich gegenseitig trägt, hilft und schützt. Dann können Stück für Stück all unsere Wunden ans Tageslicht, ohne dass sie uns gleichzeitig zerstören und einander entfremden.